Anlässlich der Jahrestagung des Landesverbandes des Bundesverbandes Deutscher Chirurgen am 11.12.2024 in Magdeburg kam die Frage auf, ab wann dürfen angehende Fachärzte eigentlich eine Operation selbstständig führen? Es wurde berichtet, dass die Klinikleitungen immer wieder Bedenken äußern würden, Kollegen, die sich in der Facharztweiterbildung befinden, aus haftungsrechtlichen Gründen bis zum Abschluss der Weiterbildung Operationen selbstständig ausführen zu lassen. Dies sei nicht nur aufgrund des zunehmenden Personalmangels, sondern auch aus Weiterbildungsaspekten problematisch.
Eine noch fehlende Facharztanerkennung rechtfertigt nicht die Vermutung, dass der Arzt in Weiterbildung zu einer Behandlung nicht befähigt ist. Die Bedenken der Klinikleitungen sind angesichts drohender Haftpflichtverfahren und steigender Versicherungsbeiträge verständlich. Immerhin wird gem. § 630 h Abs. 4 BGB vermutet, dass eine fehlende Befähigung des Behandlers für den Eintritt der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit ursächlich war. In der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten1 wird ausgeführt, an der erforderlichen Befähigung fehle es dem Behandelnden, soweit er nicht über die notwendige fachliche Qualifikation verfügt, insbesondere wenn er sich noch in der medizinischen Ausbildung befindet oder als Berufsanfänger noch nicht über die notwendige Erfahrung verfügt.
Die Ausbildung ist grundsätzlich mit der Approbation abgeschlossen. Die Gesetzesmaterialien lassen offen, ob nach Ansicht des Gesetzgebers die Facharztanerkennung noch zur „Ausbildung“ zählt oder – zutreffender – der anschließenden „Weiterbildung“ zuzurechnen ist. In diesem Fall würde eine noch fehlende Facharztanerkennung nicht dazu führen, dass es dem Arzt an der erforderlichen „Ausbildung“ fehlt.2 Denn der sog. Facharztstandard ist von jedem approbierten Arzt einzuhalten. Somit kann aus einer fehlenden Facharztanerkennung nicht abgeleitet werden, dass die angehenden Fachärztinnen und Fachärzte erst nach ihrer bestandenen Facharztprüfung bestimmte Behandlungen oder schwierigere operative Eingriffe selbstständig durchführen dürfen. In der Konsequenz hat der Behandelnde darzulegen und zu beweisen, dass eine eingetretene Komplikation ihre Ursache nicht in der fehlenden Qualifikation, Übung oder Erfahrung des Arztes in Weiterbildung (AiW) hat. Die Facharztweiterbildung baut auf einer bereits abgeschlossenen ärztlichen Ausbildung auf und dient dem Ziel, besondere ärztliche Kompetenzen zu vermitteln (§ 1 Abs. 1 Satz 1 WBO). Von einem AiW kann und muss mit fortschreitender praktischer Erfahrung erwartet werden, dass er Behandlungsmaßnahmen auch selbstständig durchführt.3 Auf die Anwesenheit eines aufsichtsführenden Facharztes kann demnach dann verzichtet werden, wenn der AiW aufgrund seines Könnens selbst die Gewähr für die Einhaltung des fachärztlichen Standards bietet.4 Dies gilt für Anfängeroperationen ebenso wie für Herzkatheter-Untersuchungen oder sonstige Eingriffe.
Dass auch Ärzte, insbesondere junge Kolleginnen und Kollegen bei Ausübung ihres Berufes Respekt vor der ersten Nachtschicht allein oder einer ersten großen Operation haben, ist bekannt und nachvollziehbar. Das Gefühl ist letztendlich ein Indikator dafür, inwieweit die mit dem Beruf verbundenen Risiken bewusst wahrgenommen werden und in welcher Weise damit professionell umgegangen wird.5
„Aus einer fehlenden Facharztanerkennung kann nicht abgeleitet werden, dass die angehenden Fachärztinnen und -ärzte erst nach bestandener Facharztprüfung bestimmte Behandlungen oder schwierigere operative Eingriffe selbstständig durchführen dürfen ...“
In einem gewissen Maße sind Angst oder Respekt auch sinnvoll und können zu größerer Sorgfalt in der Vorplanung einer OP und zu einem vorsichtigen Handling führen. Um dem Vorwurf der mangelnden Befähigung zu begegnen, ist es daher ratsam, den Stand der Weiterbildung zu dokumentieren (vgl. § 8 Abs. 1 MWBO). Dies kann einerseits der AiW sowohl mit den gegengezeichneten Angaben im Logbuch sowie einem aussagekräftigen Zeugnis als auch andererseits der Chefarzt mit seiner Einschätzung, idealerweise in der Personalakte, sicherstellen.6
Ass. jur. Steffen Trautmann
Abteilung Weiterbildung, ÄKSA
Literatur
1 BT-Drucks. 17/10488, S. 30
2 Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht 5. Aufl., Rz. A103a, b - jeweils m.w.N.
3 std. Rspr. vgl. etwa BGHZ 88, 248, 252 ff.
4 Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl., Rdnr. 248
5 Schiltenwolf, Marcus; Sack, Martin, Die Angst des Arztes, Dtsch Ärztebl 2014; 111(13): A-546 / B-470 / C-450
6 OLG Dresden, Beschluss vom 29. November 2021 – 4 U 1588/21 –, juris; OLG Köln, Urteil vom 9. Januar 2019 – I-5 U 25/18 –, juris v