In regelmäßiger Folge möchte der Ausschuss Qualitätssicherung der Ärztekammer Sachsen-Anhalt im Ärzteblatt Sachsen-Anhalt auf sicherheitsrelevante Ereignisse hinweisen, die dem interprofessionellen und interdisziplinären Lernen dienen.
Der berichtete Fall „Übernahme der Medikation bei unklarer Indikationslage“ wurde dem Netzwerk CIRS Berlin als regionalem Berichts- und Lernsystem für Berliner und Brandenburger Krankenhäuser zur Verfügung gestellt und dort vom Anwenderforum als Fall des Monats 10/2024 eingestuft (Fall des Monats: https://www.cirs-berlin.de/fall-des-monats/archiv/2410-fall-265789.pdf). Das Anwenderforum, bestehend aus Vertrauenspersonen der Krankenhäuser und Vertretern der beteiligten Landesärztekammern Berlin und Brandenburg, leistet die inhaltliche Arbeit. Es wertet die eingegangenen Berichte des gemeinsamen Berichte-Pools aus und analysiert diese, um praxisnahe Vermeidungsstrategien für Fehlerquellen zu entwickeln. Aufgrund der besonderen Bedeutung des Falls möchte der Ausschuss Qualitätssicherung im Ärzteblatt Sachsen-Anhalt darauf aufmerksam machen.
Was ist passiert?
Ein Patient der chirurgischen Abteilung wurde am Wochenende neu in der Geriatrie aufgenommen mit im Verlegungsbrief aufgeführter ungewöhnlicher Medikation: ASS, Clopidogrel + Ticagrelor. Der Grund dieser Indikation konnte am Wochenende nicht eruiert werden. Zusätzlich erhielt der Patient Enoxaparin, ein Protonenpumpeninhibitor wurde nicht angesetzt.
Wenige Tage nach der Aufnahme wurde aufgrund von Teerstuhl und Hb-Abfall eine Ösophago-Gastro-Duodenoskopie durchgeführt und ein blutendes Ulkus festgestellt.
Einschätzung der meldenden Einrichtung
Es erfolgte eine Überdosierung von Antikoagulanzien aufgrund einer unklaren Indikationslage. Die Aufnahme am Wochenende erschwerte den Zugriff auf weitere Informationen bei allgemein schwieriger Anamneseerhebung. In der Konsequenz sind Aufnahmen am Wochenende gut zu prüfen. Bei gegebener Medikation ist der Magenschutz zu beachten. Die Kommunikation im Team muss erfolgen.
Einschätzung des Anwenderforums
Im vorliegenden Bericht kam es zur Übernahme der ungewöhnlichen Medikation aus dem Verlegungsbrief des Patienten mit ASS, Clopidogrel und Ticagrelor sowie Enoxaparin. Da der Grund dieser Medikation am Wochenende nicht eruiert werden konnte, wurde sie fortgesetzt. Offenbar blieb die Medikation aber auch über den folgenden Werktag hinaus angesetzt. Scheinbar erfolgte keine weitere Abklärung.
Der Bericht liefert keine weiteren Informationen über die Hintergründe der ungewöhnlichen Medikationsempfehlung im Verlegungsbrief. Offenbar sind diese nicht bekannt und/oder bis zuletzt nicht geklärt worden. Es bleibt daher unklar, ob und unter welchen Umständen bereits in der verlegenden Einheit (Chirurgie) ein Medikationsfehler aufgetreten ist. Anscheinend ist auch beim Verfassen des Verlegungsbriefs keine Kontrolle erfolgt. Bei der Übergabe wurde die Medikation übernommen. Aus dem Bericht ist nicht zu erfahren, unter welchen Bedingungen der Patient in der Geriatrie aufgenommen wurde. Extremer Zeitmangel oder Stress könnte dazu geführt haben, dass die Medikation unkritisch übernommen wurde.
Allerdings könnte ebenso gut mangelnde Erfahrung ein begünstigender Faktor sein. Das Anwenderforum stellt sich die Frage, warum es am Wochenende keine Möglichkeit gab, die von der Chirurgie vorgeschlagene Medikation mit der verlegenden Abteilung zu besprechen. Offenbar ist hier keine ärztliche Übergabe erfolgt. Die fehlende Information wurde jedoch auch nach dem Wochenende nicht aktiv eingeholt. Nicht auszuschließen ist, dass der aufnehmende Arzt bzw. die aufnehmende Ärztin den Medikationsvorschlag nicht genügend kritisch infrage gestellt hat.
Das Anwenderforum empfiehlt zur Vermeidung ähnlicher Ereignisse:
> Bei der Aufnahme neuer Patientinnen und Patienten muss sichergestellt sein, dass der aufnehmende Arzt bzw. die aufnehmende Ärztin über genügend Erfahrung verfügt, um eine Versorgung auf Facharztstandard gewährleisten zu können. Gegebenenfalls muss eine Supervision der Aufnahme erfolgen. Ein strukturiertes Aufnahmeprocedere kann hier eine Sicherheitsebene bieten.
> Nicht nur in der aufnehmenden Einheit, sondern auch in der verlegenden Einheit muss für eine ausreichende Erfahrung der beteiligten Personen gesorgt sein und ggf. eine Supervision zur Verfügung stehen.
> Bei der Verlegung von Patientinnen und Patienten muss eine ärztliche Übergabe erfolgen. Es muss sichergestellt werden, dass ein Wochenende keine vorhersehbare Hürde für den Informationsfluss darstellt.
> Fragwürdige Medikationsvorschläge dürfen nie unkritisch übernommen werden. Gegebenenfalls ist eine Abklärung mit dem (eigenen) Hintergrunddienst erforderlich. Fehlende Informationen müs-
sen bei internen Dienstübergaben thematisiert und zum nächstmöglichen Zeitpunkt eingeholt werden.
> Digitale Systeme können helfen, vor Überdosierungen und/oder Medikationsfehlern zu warnen. Das Anwenderforum weist jedoch darauf hin, dass zu häufige Warnungen digitaler Systeme schnell zu Gewöhnungseffekten führen und sich damit selbst „abnutzen“.
> Als hilfreich hingegen werden regelmäßige Medikamentenvisiten, ggf. unterstützt durch Pharmazeutinnen und Pharmazeuten, empfunden.